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Die menschliche Singularität

Ein umtriebiges literarisches Thema beflügelt derzeit die Fantasie vieler Gegenwartsautor_innen - künstliche Intelligenz ist längst aus der Nische in den literarischen Mainstream gesprungen. Während die gerade neu aufgelegte Trilogie Neuromancer von William Gibson aus dem Jahre 1984 – in der er den Begriff „Cyberspace“ prägte – klare Genre-Signale aussendet, wendeten sich mit Ian McEwan, Raphaela Edelbauer und ganz aktuell dem Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro auch etablierte Feuilleton-Lieblinge der Faszination K.I. zu.

Und natürlich ist dabei die Kernfrage der Beschäftigung mit einer nicht menschlichen – aber von Menschen erschaffenen Intelligenz – nicht fern: Gibt es eine nicht reproduzierbare Eigenheit des Menschlichen? Oder müssen wir mit der „technologischen Singularität“ (so das aktuelle Sachbuch zum Thema von Murray Shanahan) rechnen, also mit einem Kipppunkt, ab dem sich Maschinen in einem Ausmaß selbst verbessern, das sich der menschlichen Kontrolle entzieht?

Bei McEwan, dessen Roman Maschinen wie ich, in einer alternativen Version des Jahres 1982 spielt, scheint zunächst ganz klar, dass die ersten Modelle der Adam und Eva Serie den Menschen in vielerlei Hinsicht haushoch überlegen sind. Der Vater der Protagonistin verwechselt dann auch gleich ihren Freund und den neu erworbenen Roboter. Und obwohl dieser im Laufe der Geschichte leidenschaftlich Haikus verfasst, schimmert in der Fähigkeit einen Roman zu schreiben beim Romancier McEwan ein Rest menschlicher Einzigartigkeit auf.

DAVE heißt die Künstliche Super-Intelligenz, die in Raphaela Edelbauers gleichnamigen Roman nach einer Strahlenkatastrophe ins Leben gerufen werden soll, um die Welt zu retten. Denn die Ausgangssituation ist düster: aufgrund des unwirtlichen Klimas und der wachsenden Ressourcenknappheit lebt die gesamte Menschheit, fernab vom Tageslicht, in einem streng abgeriegelten Bunker. Eines Tages wird der 28-jährige Sys, der zur untersten Schicht des Programmiervolks gehört, in einer Geheimaktion dazu auserkoren, das menschliche Vorbild für DAVES künstliche Intelligenz zu sein. Doch ob die an ein menschliches Bewusstsein gekoppelte Computer-Intelligenz die erhoffte Rettung bringen kann, bleibt abzuwarten.

Schließlich ist mit Klara und die Sonne soeben das erste Buch von Kazuo Ishiguro erschienen, seit er 2017 den Literaturnobelpreis gewann. Klara ist eine Künstliche Freundin, im Buch nur als AF abgekürzt, und zugleich die Erzählerin des Romans. Wir nehmen die Welt durch ihre Augen wahr, sind mit ihr verwirrt, wenn sich das Kornfeld in der Abendsonne in zusammenhangslose Pixel auflöst. Ishiguro war schon in den vorherigen Romanen ein Meister der Verfremdung, etwas in seinen Büchern ist ver-rückt und lässt die Welt in anderen Lichtern erscheinen. Die Ausgangsfrage stellt sich in Klara und die Sonne ganz konkret, Religion, soviel ist klar, eignet sich nicht als Unterscheidungskriterium zwischen menschlicher und artifizieller Intelligenz und Liebe ist es auch nicht. Mehr soll aber nicht verraten werden, von den Abgründen, die sich in Ishiguros neuem Buch allmählich auftun.

Wir sind auf jeden Fall begeistert von den so klugen wie spannenden literarischen Auseinandersetzungen mit der technologischen (oder menschlichen?!) Singularität!